Die Sache mit der Mohrrübe

Wir alle haben Mohrrüben, denen wir hinterherlaufen.
Das liegt in unserer Natur: wir fixieren uns. Auf etwas da draußen. Auf etwas, das wir wollen. Auf etwas, das wir lieber nicht (fühlen) wollen.

Ich nenne das die Kunst der unbewussten Selbstvermeidung.
Denn Fixation hat immer zwei Seiten: Die Sehnsucht nach dem Einen. Und das Wegschieben des Anderen.

Ich war mal mein Auto. Mein Titel. Mein Erfolg. Ich war der Mann mit der Antwort. Der Stratege. Der, der wusste, wo’s langgeht. Ich war mein Kalender, mein Projekt, mein „nächstes Level“. Ich war mein Lebenslauf – fast ein wandelndes LinkedIn-Profil.
Von außen funktional, innen oft leerer, als ich zugeben wollte.

Jede Mohrrübe ist ein Fluchtpunkt. Sie lenkt ab von Schmerz, von Ohnmacht, von der Angst, unbedeutend zu sein. Oder – noch leiser – von der Frage, ob ich liebenswert bin, wenn ich einfach nur da bin.

Fixation kann vieles sein:
– Der tolle Vater. Die fitte Unternehmerin.
– Der erwachte Mensch, das stille Ich, der nächste Retreat.
– Leistung. Besitz. Einfluss. Selbstoptimierung.

Politisch und gesellschaftlich ist es nicht anders:
– Donald Trump: „Wenn ich immer gewinne, bin ich der Größte.“
– Friedrich Merz: „Wenn Wirtschaft und Ordnung regeln, läuft das Ganze wieder sauber.“
– Elon Musk: „Wenn ich den Mars besiedle, habe ich die Zukunft in der Tasche.“
– Jacinda Ardern: „Wenn wir alle mitnehmen, wird Politik menschlicher.“
– Robert Habeck: „Wenn Ökonomie, Klima und Gesellschaft im Gleichgewicht sind, bleibt unser Leben lebenswert.“
– Ken Wilber: „Wenn wir alle Entwicklungsebenen integrieren, können wir als Ganzes erwachen.“

Und ja – Menschen schlagen sich wegen Mohrrüben die Köpfe ein. Wir haben alle das Potenzial dazu. Nicht weil wir uns hassen. Sondern weil wir glauben, unsere Karotte sei die einzig wahre.
Und dass sie ohne sie leer sind. Und das betrifft mich mit diesen Aussagen genauso, im Moment, in dem ich das tippe.

Jede Mohrrübe lenkt ab:
Von dem, was ich nicht fühlen will.
Von dem, was mich stört.
Von dem, was mich ohne Ablenkung konfrontieren würde.

Die Mohrrübe ist mein Hin-zu.
Sie schützt mich vor meinem Weg-von.

Wahrscheinlich geht es nicht darum, keine Mohrrüben zu haben, sondern sie mehr und mehr zu erkennen.

Und zu prüfen: Wer läuft da eigentlich bei mir – und warum?

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